These 7: (Mai 2017)
„Allein der Glaube genügt“: Gott musst du nichts beweisen!
Beweise braucht man dann, wenn etwas nicht offensichtlich ist.
Beweise muss man liefern, wenn etwas nicht sicher ist und eher unglaubwürdig erscheint.
Wir kennen das Gefühl, Beweise erbringen zu müssen – den Drang, es anderen beweisen zu müssen:
Im Beruf, natürlich, aber auch privat, in der Beziehung oder im Freundeskreis. „Schaut her, was ich alles kann“, soll das dann wohl heißen, oder auch manchmal: „Ich bin mein Geld wert!“
Steckt dahinter das Gefühl, dass meine Talente und Begabungen eben nicht offensichtlich sind und daher des Beweises bedürfen? Ja, dass ich mir meiner selbst nicht sicher bin und mich daher beweisen möchte?
Seltsam ist, dass es ja auch das Gefühl gibt, es mir selbst beweisen zu müssen: Ich nehme neue Herausforderungen an oder versuche, an große Leistungen aus meiner Vergangenheit anzuknüpfen. Doch wozu? Etwa, um vor mir selbst gut dazustehen? Um mir selbst zu zeigen: „Ich kann’s noch“?
Jemandem, der mich gut kennt und der mich durch und durch kennt, dem muss ich nichts beweisen. Denn Beweise braucht man dann, wenn etwas nicht offensichtlich ist.
„Gott musst du nichts beweisen“: Das ist unsere Deutung der reformatorischen Grunderkenntnis „allein der Glaube genügt“. Wie schwer tun wir uns mit diesem Satz seit 500 Jahren! Denn wenn ich mir konsequent eingestehe, dass ich Gott nichts von mir präsentieren muss, wenn ich erkenne, dass Gott mich durch und durch kennt und ihm mein Glaube genügt – dann wird das nicht ohne Konsequenzen bleiben für das Bild, das ich von mir selbst habe oder anderen von mir zeigen möchte.
Jochen Schäffler
These 6: (April 2017)
Das Kreuz ist fast nicht auszuhalten – Gott sei Dank!
Das Kreuz ist eine Zumutung!
Nicht nur deshalb, weil man auf besonders abstoßende Weise mit dem Tod konfrontiert wird.
Nicht nur, weil man einen gefolterten und hingerichteten Menschen vor sich sieht, mit viel Blut und offenen Wunden.
Nicht nur, weil man eine grausame Vorstellung davon bekommt, zu was Menschen in der Lage sind – und das bis auf den heutigen Tag.
(Und sind wir durch unsere kulturelle Prägung nicht längst so sehr an den Anblick des Gekreuzigten gewöhnt, dass wir für diese Wahrnehmungen kaum mehr sensibel sind?)
Das Kreuz ist auch deshalb eine Zumutung, weil es ein elendes Symbol des Scheiterns ist:
Eine großartige Idee, eine friedliche Revolution, die Botschaft von Liebe und Versöhnung und Gottesnähe, ein Menschenleben – all das hängt erbärmlich an diesen Holzbalken. Gestorben. (Vorerst jedenfalls.)
Die größte Provokation bleibt freilich die Frage nach Gott selbst:
Das Kreuz ist ja eine Anfrage an unsere herkömmlichen Vorstellungen vom Allmächtigen, auch nach zweitausend Jahren noch. Die drängende Frage, wie Gott das Leid und das Scheitern in der Welt zulassen kann, erhält durch den Blick auf das Kreuz nochmal eine neue Brisanz.
Doch wird sie dadurch leichter, erträglicher?
Martin Luther sagte: „Crux sola est nostra theologia.“ (Das Kreuz allein ist unsere Theologie.)
Gott kann nach seiner Ansicht nur durch den Weg des Kreuzes, den er in Jesus selbst gegangen ist, überhaupt erst erkannt und verstanden werden. Eine n Weg durch das Scheitern hindurch – „Gott sei Dank“, würde Luther sagen.
Die Passions- und Osterzeit ist dazu da, zu versuchen, das Kreuz tatsächlich einmal auszuhalten – und darüber nachzusinnen, was es mit unserem persönlichen Gottesbild macht!
Jochen Schäffler
These 5: (März 2017)
Unsere Kirche braucht vor allem inhaltliche Visionen und nicht nur strukturelle Regulationen.
Im Reformationsjahr stehen in unserer Landeskirche Veränderungen an: Bedingt durch den Rückgang der Gemeindegliederzahlen und des Pfarrernachwuchses beschließen unsere Synoden im März über die Streichung weiterer Pfarrstellen bis 2024. Diese strukturellen Maßnahmen sind schmerzhaft, aber zukunftsweisend und unumgänglich.
Die Diskussionen um Stellenschlüssel und Strukturplanungen übertönen jedoch bisweilen die Auseinandersetzung um die entscheidenden inhaltlichen Fragen, die mit diesen Maßnahmen einhergehen müssen. Angesichts einer kleiner werdenden Kirche müssen wir evangelischen Christen uns fragen:
- Was für eine Kirche wollen wir sein?
- Was kann, was muss unsere Kirche auch in Zukunft leisten?
- Welche Aufgaben, die sie derzeit innehat, können vielleicht auch wegfallen?
Man darf fragen: Wo und von wem wird diese dringliche Debatte derzeit geführt? Wo sind die (mutigen) inhaltlichen Visionen für eine kleiner werdende Kirche?
Bei Martin Luthers Reformation ging eine klare inhaltliche Profilierung der strukturellen Anpassung voran. Bei einer Kirche, die „semper reformanda – stets reformbedürftig“ ist, wäre dieses Vorgehen wäre auch fünfhundert Jahre später wünschenswert!
Jochen Schäffler
These 4: (Februar 2017)
Die heutige Jugend bleibt weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Und alle anderen Generationen auch.
Schon Sokrates soll geklagt haben: „Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte. Die Jugend steht nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widerspricht den Eltern und tyrannisiert die Lehrer.“ Also scheint es üblich zu sein der Jugend den „Schwarzen Peter“ für jegliche negative gesellschaftliche Veränderung zuzuschieben. Als ob das so einfach wäre. Grundsätzlich ist natürlich alles Pauschalieren fraglich und die berühmten Ausnahmen, die jedwede Regel bestätigen sind ja sprichwörtlich. Und doch bleiben Fragen an die Jugend: Wie sieht es aus mit Solidarität und Protest, mit Veränderungswillen und Auseinandersetzung? Sind junge Menschen wirklich schon zufrieden, wenn sie W-LAN haben und schnelles Internet? Genügt es, wenn Tweets und Posts schnell den Adressaten erreichen, auch wenn mit zwei Zeilen nicht wirklich Differenziertes und Tiefgründiges zu schreiben möglich ist? Wollen junge Menschen wirklich nur mit dem Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten im System funktionieren, die individuellen Perspektiven erhalten und sich dann im Familiären zufrieden geben?
Und doch ist der Blick immer auch in die andere Richtung zu wenden: Warum warten die anderen Generationen auf den Protest und das Engagement der Jugend? Warum wundern sie sich, dass die langjährig Gepamperten und Verwöhnten nicht aus dem Quark kommen und sich zu Abfindungskünstlern entwickelt haben? Warum wird die Auseinandersetzung mit der Jugend nicht gesucht? Warum bleiben die Generationen so gerne unter sich? Generationen hin oder her, alle haben auch ganz pauschal betrachtet ihre Grenzen und Möglichkeiten. Wir sind schon immer darauf angelegt einander zu ergänzen! Wir brauchen ein Miteinander der Generationen wo sich jede einbringt, wo Streit um die Wahrheit und die Auseinandersetzung etwas Normales sind und wo in der Ergänzung die gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen gemeistert werden, denn davon gibt es nun wirklich genug. Unabhängig ob Gründer, Babyboomer, Generation X, Y oder Z: wenn es darum geht den Hintern hochzukriegen, dann fängt man am besten mit dem eigenen an.
Micha Schradi
These 3: (Januar 2017)
Christliche Freiheit – schön und gut. Dennoch: je größer die Möglichkeiten, desto größer die Verantwortung!
Freiheit ist ein viel strapazierter Begriff. Die Werbung ist übervoll davon und suggeriert Unabhängigkeit und freie Entscheidungsmöglichlkeiten. Doch Freiheit als ein „Wünsch dir was – Programm“, ist mit christlicher Freiheit nicht gleichzusetzen.
In Martin Luthers Freiheitsschrift “Von der Freiheit eines Christenmenschen” beschreiben zwei Kernsätze sein Verständnis von Freiheit:
“Ein Christenmensch ist sein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.”
Die christliche Freiheit hat mit Befreiung zu tun. Die Freiheit von etwas oder für etwas ist gemeint. Es ist die Befreiung von der Herrschaft der Mächte, weil allein Gott der Größte ist. Und so ist es die Freiheit vor der Ichbezogenheit, die den christlichen Freiheitsbegriff kennzeichnet. Weil Gott größer ist als wir Menschen, müssen wir nicht alles in den Griff bekommen, vielmehr sind wir befreit und können in der Grundhaltung der Glaubenden frei handeln. Denn das ist die andere Seite der christlichen Freiheit – Freiheit zur Verantwortung. Freiheit als eine Haltung, die den Mitmenschen und die Mitwelt wahrnimmt, weil sie nicht selbstbezogen bleibt, und ihre Gaben und Möglichkeiten einsetzt damit allen das Leben möglich ist. Dazu hat uns Christus befreit.
Micha Schradi
These 2: (Dezember 2016)
„Fakt ist: wir wenden viel Kreativität auf, um die Kritik und Provokation der Weihnachtsgeschichte geschmeidig, harmlos und festtagstauglich zu halten.“
Bei Weihnachten denken wir in erster Linie an das Familienfest im Kreise der Lieben, an heimelige Weihnachtsmärkte, Gottesdienstbesuch, leuchtende Christbäume und den Duft von Lebkuchen, an Bratäpfel und fröhliche Lieder. Dabei begann die Geschichte ganz anders. Gott wurde Mensch (bereits das ist ein Frevel für andere Religionen) und das geschah nicht wie zu erwarten wäre in einem Palast, wo für gewöhnlich Könige leben, sondern in einem Stall – ganz unten also. Auch kam Gott nicht als mächtiger König mit großem Heer, sondern als kleines wehrloses Baby in diese Welt. Nicht die Großen, Mächtigen und Reichen erfuhren zuerst davon, sondern die Hirten, einer der ärmsten Berufsstände. Und in einer männerdominierten Welt spielen an Weihnachten ein Baby und eine Frau die Hauptrolle, Joseph ist maximal Beiwerk.
Weihnachten dreht die ganze Welt auf den Kopf, ist eine riesige Provokation und stellt unser Gesellschaftssystem in Frage, das noch immer oder sogar immer mehr soziale Unterschiede aufweist. Weihnachten lenkt unseren Blick auf die andere Seite des Lebens, auf soziale Ungerechtigkeit, Armut, Vertreibung und auf Leiden. Darum ist Weihnachten so wichtig für uns, weil wir neu nachdenken und uns neu orientieren können.
Gott zeigt uns in Weihnachten, dass er die Wirklichkeit wahrnimmt wie sie ist, mit ihrer Not und ihrem Schrecken. Gott kommt zu uns und wird Mensch. Mit ihm an der Seite können auch wir die Wirklichkeit nehmen wie sie ist und wahrnehmen, was wir für gewöhnlich so gerne verdrängen. Wir brauchen Weihnachten nicht weichzuspülen und glattzubügeln, denn trotz allem, auch wenn wir den Glitter abstreifen, bleibt Weihnachten ein Fest für das Leben.
Micha Schradi
These 1: (November 2016)
„Buße heißt Umkehr. Ohne die Bußfertigkeit des Einzelnen ist eine Umkehr der Gesellschaft nicht möglich.“
Buße und Reformation haben das gleiche Ziel:
Dinge kritisch hinterfragen.
Fehler bemerken und einsehen.
Sachen ändern, die falsch laufen.
Neue Wege einschlagen.
Und beides, Buße und Reformation, sind keine Prozesse, die irgendwann abgeschlossen sind: Man muss sich dem ständig neu stellen und immer wieder frisch unterziehen.
Nicht umsonst lautete Martin Luthers erste der 95 Thesen: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht „Tut Buße“ usw., hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei.“
Oft warten wir auf eine „Umkehr“ der Politik oder der Gesellschaft. Darauf, dass neue Wege gegangen werden bei den großen Problemen unserer Zeit: der sozialen Ungerechtigkeit, der Umweltverschmutzung, dem Fleischkonsum, dem Umgang mit Geld…
„Warum tut sich da nichts?“, fragen wir uns, und „wann ändert sich endlich etwas?“
Eines ist aber klar: Solange ich nicht bereit bin, in diesen Punkten mein eigenes Verhalten zu hinterfragen und mir meine eigenen, vielleicht kleinen Fehler einzugestehen und dann mein Leben zu ändern… also Buße zu tun… solange wird sich auch im Großen nichts bewegen!
Jochen Schäffler
Zum Reformationsjubiläum veröffentlichen wir an dieser Stelle monatlich eine These als Denkanstoß (die gleichen Thesen finden sich auch an vielen Kirchen im Kirchenbezirk Blaubeuren)
Die Thesen sind verfasst von einer Arbeitsgruppe des Bezirksarbeitskreises